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Tu so als ob

Irgendwann stehen wir alle vor einer Situation, eine neue Herausforderung meistern zu wollen, aber noch so wenig Erfahrung haben, und keinen Plan wie wir es schaffen können. Manchmal ist es ein neuer Job, den wir antreten, oder die neue Rolle der Führungskraft nach einem beruflichen Aufstieg.

 

Zuerst ein kleines Gedankenexperiment: Worin liegt der Unterschied zwischen jemandem, der aussieht und handelt wie ein Arzt, und einem echten Arzt? Hast du dir schon jemals das Zeugnis deines Arztes zeigen lassen? Natürlich nicht! In der Regel reicht es, wenn wir eine gute Behandlung bekommen und wieder gesund werden. Man könnte sagen, solange jemand die Erscheinung eines Arztes auch in seinem Verhalten, in seinen Funktionen perfekt imitiert, ist er ein Arzt. Das ist das Prinzip der Hochstapelei: So tun als ob. Es hat diesen konkreten Fall gegeben und der fake-Arzt war viele Jahre erfolgreich in ein Klinik tätig, er operierte sogar! Dieser Fall zeigt beeindruckend, wie viel Selbstvertrauen dieser Hochstapler hatte und wie viel Vertrauen ihm dafür entgegengebracht wurde. 

 

Nicht, dass ich das gut heißen kann! Der Punkt ist ein anderer und ich denke, dass man daraus etwas lernen kann. Auf Englisch gibt es eine Redensart: "Fake it till you make it". Tu so als ob und "spiele" die Rolle so lange, bis sie dir passt. Aus psychologischer Perspektive ist das eine im wahrsten Sinne des Wortes zielführende Strategie! 

 

Tipps und Tricks, die neue Rolle so gut zu spielen, bis du sie bald vollkommen ausfüllst

 

Ins kalte Wasser springen

Es hilft nichts: Du musst den Sprung wagen. Ich erinnere mich noch an mein erstes Coaching nach meiner Zertifizierung. Ich war aufgeregt, kam mir viel zu unerfahren vor und machte mir Sorgen, ob mein Klient mich respektieren würde. Dann kam der Moment, an dem ich sagte: „Guten Tag. Ich bin Ihr Coach!“  Ab hier gab es keinen Weg zurück. Nun galt es nur noch, nach vorn zu schauen und die neue Rolle mit Leben zu füllen.

 

Visitenkarten und Krawatten

Mehr Schein als Sein. Überlege zuerst, was an der äußeren Erscheinung wichtig ist, um die Rolle zu verkörpern. Machen wir uns nichts vor: Anzüge und Krawatten sind vor allem dazu da, ein Statement zu geben und Sicherheit zu vermitteln. Kleider machen bekanntlich Leute. Du kannst deine neuen Rolle selbst viel überzeugter darstellen, wenn du dich schon mal äußerlich damit identifizieren kannst. Es eine erhebliche Erleichterung, wenn deine Mitmenschen dich für die Person halten, die du ab nun verkörperst. 

 

Vorbilder beobachten und imitieren 

Denke an die Meister deines Fachs und beobachten diese Könner. Wie ist deren Körperhaltung, die Stimmlage, der Blick? Imitiere diese Verhaltensweisen. Das gibt dir die Sicherheit, dich gemäß der neuen Rolle zu verhalten. Noch heute denke ich an meinen ersten Ausbilder, den ich sehr bewunderte. Zu Anfang habe ich seine aufrechte Haltung und seinen Blick imitiert und mir in schwierigen Situationen überlegt, was er an meiner Stelle wohl machen würde. Noch heute nutze ich einige seiner Techniken, die immer funktioniert haben. Und wenn dich das noch nicht überzeugt, dann denke daran, wie Kinder lernen: Sie imitieren das Verhalten der Erwachsenen.

 

Werde wer du bist 

Entwickle eine Vorstellung davon, was du selbst in deiner neuen Rolle langfristig erreichen willst. Schreibe diese Ziele auf und auch die Etappen, die du auf dem Weg dorthin erreichen willst. Fang gleich damit an, die erste Etappe in Angriff zu nehmen. Teile deine Ziele auch anderen mit, dadurch entsteht eine Verpflichtung und es wird es wahrscheinlicher, dass du auch tatsächlich an der Erreichung deiner Ziele konsequent arbeiten wirst.

 

Bald merkst du, dass du bereits die Person bist, die du bis eben noch vorgabst zu sein. Aber Vorsicht. Etwas musst du schon können. Schauspielern alleine reicht nicht. Und es kann auch passieren, dass du mal an einer Herausforderung scheiterst. Das ist menschlich und gehört zum Leben. Habe es selbst erlebt. Dann einen Gang herunterschalten und schon bald einen neuen Versuch starten. Übung macht schließlich den Meister. Die fallen nicht vom Himmel.

 

Michael Weiger, Senior Coach