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Um anzufangen, fange an!

Doch ich renne nicht etwa. Ich jogge einfach in einem angenehmen, zügigen Tempo. Man kann das auch als "Gentle Running" bezeichnen. In den Neunzigern hieß das noch "Laufen, ohne zu schnaufen". Ungefähr eine Stunde und 15 Minuten dauert meine Runde. Danach fühle ich mich besser, immer, ausnahmslos. Egal wie bedrückt, ängstlich, gestresst, angespannt, überfordert oder sonst was ich mich vorher gefühlt habe. Ich fühle mich hinterher besser. Während ich laufe, denke ich an gar nichts. Ich vermeide das Denken aber auch nicht, ich lasse die Gedanken einfach so kommen und gehen. Wenn ich merke, dass mich ein Gedanke zu sehr anstrengt, richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Geräusche um mich. Das Knirschen meiner Schuhe auf dem Weg. Das Zwitschern der Vögel, das Rascheln der Blätter. Und ich laufe, laufe, laufe. Fast jedes Mal die gleiche Strecke. Ich denke nicht nach, ich laufe einfach weiter.

Oft lösen sich scheinbar unlösbare Probleme während des Laufens. Sie lösen sich einfach von selbst in meinem Kopf. Während ich an nichts Bestimmtes denke. Ich weiß dann plötzlich, was zu tun ist. In seltenen Fällen werden auch große Gefühle spürbar. Als meine Mutter vor 11 Jahren starb habe ich mich zwischendurch unter einen Baum gesetzt und geweint, eine ganze Weile. Das hat mir geholfen. Es hat mir gezeigt, was gefühlt werden muss, auch wenn es schwer ist. Nach dem Weinen bin ich einfach weitergelaufen. Ich setzte mich beim Laufen niemals unter Druck. Wenn ich mich müde fühle, laufe ich langsamer oder kürze meine Runde ab. Meine Aufmerksamkeit gilt meinem Wohlgefühl. Ich genieße die Bewegung an frischer Luft, spüre das Laufen als angenehme Tätigkeit. Auf die Zeit achte ich nicht besonders. Ich trage eine alte Laufuhr, die einfach nur die Zeit stoppt, sonst nichts. Kein GPS, keine Fitness-App, nur reines Laufen im offline-Modus.


Seit dreißig Jahren praktiziere ich dieses simple Lauf-Ritual. Dabei bin ich im wahrsten Sinne des Wortes durch so manche Krise "gelaufen". Ich erinnere mich an meine Trennung nach fast 20jähriger Ehe. Ich dem Moment, als ich fast durchdrehte vor Schmerz, dachte ich plötzlich: Und Morgen früh läufst du deine Runde. Und sofort beruhigte ich mich innerlich. Es war wie ein Anker, der mich gedanklich verband mit dem heilsamen Gefühl des "Weiterlaufens" – und ebenso mit den innern Bildern des Waldes, der mich auf meinen Laufrunden umgibt. 

Nicht für alle Menschen muss es das Laufen sein. Andere setzen sich auf ihr Fahrrad, klettern in ihr Kanu, gehen Schwimmen, zum Yoga oder Tanzen. Was du genau in Bewegung tust, ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist , dass es dir Freude bereitet während du es tust. Dann kommen nämlich Gedanken und Gefühle zur Ruhe und kannst eintauchen in dein Körpergefühl. Dann bist du einfach. Es gibt kein besseres Mittel gegen Stress. Dieses Wohlgefühl raubst du dir, wenn du anfängst, die Bewegung einem Leistungsdruck zu unterwerfen. Dann wird der Körper plötzlich zum Feind, der gequält und kontrolliert werden muss, um Leistungen zu erbringen. Das ist es, was viele Menschen leider unter "Sport" verstehen. So haben wir es als Kinder in der Schule gelernt – und verständlicherweise hassen gelernt. Ich hatte als Schuljunge mäßige Sportnoten... mir graute besonders vor Bodenturnen und Fußball. Auch mein eigener Weg zurück zur Bewegungsfreude war lang. Als Kind war ich eher ängstlich und mein Vater zwang mich permanent Dinge zu tun, vor denen ich Angst hatte. So lernte ich erst spät Schwimmen. Ich hasste all diese Torturen und verstand mich als "unsportlicher" Junge. Obwohl ich auf die höchsten Bäume kletterte, stundenlang mit meinem Rad durch die Gegend sauste, dachte ich meine Kindheit und Jugend hindurch, ich sei schrecklich unsportlich. Erst mit dreißig Jahren entdeckte ich das Laufen für mich. Seitdem begleitet es mich. Es ist meine längste Liebe geworden. Immer wieder erfüllt es mich mit großer Freude, wenn Menschen in meinen Lauf-Anfänger-Coaching-Workshops nach und nach zu ihrer natürlichen Bewegungsfreude zurückfinden. Wenn sie irgendwann lächelnd zu mir sagen: So bin ich noch nie gelaufen! Unglaublich, dass ich das kann! Es ist gar nicht schwer! Ich muss es ja einfach bloß tun!