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Motivation und Einsicht

Gewohnheiten können ganz schön zäh sein.

Doch wie können wir sie verändern?

 

Es erfordert Achtsamkeit und ganz genaues Hinschauen, um Gewohnheiten bewusst zu kontrollieren und zu steuern.

 

Wiederholung macht aus einer einfachen Verhaltensweise eine Gewohnheit. Was wir täglich tun, prägt und formt unser Gehirn – wie eine Landschaft von dem Wasser geprägt wird, dass sie durchfließt. Dieser Mechanismus hat dazu geführt, dass wir heute bestimmte Gewohnheiten haben. Wir können auch alte Flussbetten austrocknen lassen. Genau darum geht es in häufig im Coaching. Mit welcher Grundeinstellung es funktionieren kann – und mit welcher nicht, möchte ich anhand eines Beispiels schildern:

 Karneval war vorüber. Und ich leitete eine Gruppe von Männern an, die sich alle vorgenommen hatten, 7 Wochen lang bis Ostern keinen Alkohol zu konsumieren.

 

Jonas, einer der Teilnehmer, berichtete: „Ich weiß selbst nicht genau, ob ich meine Trinkgewohnheiten im Griff – oder schon ein Suchtproblem habe. "Das will ich in der Gruppe herausfinden. Ich will selbst bestimmen können, ob ich trinke oder nicht. Ich glaube, wenn ich 7 Wochen lang ohne Alkohol gut zurechtkomme, dann ist das ein gutes Zeichen."

 

Thomas, ein weiterer Teilnehmer, sagte: „Mir wurde von der Suchtberatungsstelle empfohlen, mal so etwas zu machen. Ich denke, es ist kein Problem, ein paar Wochen ohne Alkohol zu leben.“

Ich stellte den Gruppenteilnehmern zwei Fragen: „Wie stark bist du motiviert, 7 Wochen lang komplett zu verzichten? Gib dies auf einer Skala von 1 bis 10 an. 1 bedeutet eine sehr geringe Motivation, 5 eine mittlere und 10 eine sehr starke Motivation."

Die zweite Frage: „Wie schätzt du deine Trinkgewohnheiten ein? Eine 1 bedeutet du trinkst sehr wenig und in deiner Biografie spielt Alkohol keine Rolle, 5 bedeutet du trinkst mäßig, 10 bedeutet, du trinkst viel und hast auch schon früh in der Jugend mit intensivem Alkoholkonsum begonnen.“

 

Jonas beantwortete die Frage spontan. „Ich habe eine sehr hohe Motivation, diese 7 Wochen wirklich komplett auf Alkohol zu verzichten. Ich würde auf der Skala die 8 oder 9 ankreuzen, meine Trinkgewohnheiten würde ich bei der 5 einschätzen."

Thomas antwortete: „Naja, meine Suchtberaterin hat gesagt, das wäre mal gut für mich. Ich würde sagen meine Motivation liegt bei 5 und über meine Trinkgewohnheiten rede ich nicht so gern – würde mal sagen 7.“

 

Wenn wir uns mit Gewohnheiten beschäftigen, dann entdecken wir schnell zwei Kräfte, die unser Verhalten bestimmen. Das ist einerseits unsere Absicht. Unsere Werte und Ziele bestimmen, was wir in der gegenwärtigen Lebenssituation gerne tun wollen. Diese Seite der Waage bestimmt unsere Motivation.

 

Die zweite Kraft ist die Stärke unserer Gewohnheiten, die wir entwickelt haben. Sie bildet die andere Waagschale. An den Antworten der beiden Teilnehmer konnte ich erkennen, dass die Waage bei Jonas auf die Motivationsseite kippt. Bei Thomas war es hingegen die Gewohnheitsseite. So ging es im Kurs weiter. Jonas berichtete wöchentlich, in welchen Situationen es schwierig für ihn war, auf Alkohol zu verzichten. Da war zum Beispiel die Abschiedsfeier eines guten Kollegen. Es war für ihn zwar nicht leicht, aber erzählte allen in seinem Umfeld, dass er diese "7 Wochen-ohne-Challenge" mitmacht. Er erhielt viel Unterstützung, manche seiner Kollegen sagten, dass sie eine solche Challenge auch mal machen sollten.

 

Thomas hingegen berichtete in jeder Stunde, wie super es mit dem Verzicht funktionieren würde und er habe gar keine Probleme damit. Die anderen Gruppenteilnehmer waren etwas verwundert darüber, da es allen zeitweise schwerfiel, auf Alkohol zu verzichten. Außerdem fiel auf, dass Thomas eine Fahne hatte. Doch Thomas Berichten zufolge war alles „easy“. Wie sich später herausstellte, hatte Thomas während der 7 Wochen weiter getrunken. Er konnte durch seine gering ausgeprägte Motivation sein Konsumverhalten nicht verändern. Bei ihm hatte sich die Gewohnheit schon zur Sucht entwickelt. Er hatte in dieser Phase nur wenig willentliche Kontrolle über seinen Alkoholkonsum. Und auch die Einsicht in sein Problem war bei ihm nicht gegeben.

 

Motivation und Einsicht – das sind die entscheidenden Faktoren, wenn wir etwas verändern möchten.

 

 

Michael Weiger