Um Gewohnheiten zu verwandeln, müssen wir sie zuerst bemerken. Erst im Wahrnehmen von dem, was wir eigentlich tun und was das mit uns macht, können wir den Gang wechseln und uns in die gewünschte Richtung lenken.
Das Bemerken kann ganz einfach sein: Der Krimi im Fernsehen ist zu Ende – und uns ist schlecht. Auf dem Couchtisch liegt das Papier einer leeren Chipstüte. Wir bekommen kurz einen Schreck und ärgern uns womöglich.
Die Erfahrung des Bemerkens ist unangenehm. Wir nehmen die Diskrepanz wahr zwischen dem, was wir eigentlich wollen, und dem, was wir tatsächlich tun. Für mich selbst war es sehr frustrierend, als ich im vergangenen Herbst auf der Waage stand und feststellte, dass ich mein persönliches Höchstgewicht erreicht hatte. Normalerweise kenne ich Höchststände erst nach den Weihnachtsferien – und nun war die Schallmauer bereits im Herbst durchbrochen.
Ich war richtig frustriert! Nur weil ich diese Frustration erlebte, entstand der tiefe Wunsch, meine Essgewohnheiten zu ändern. Die Frustration brachte mich zum Innehalten und zum Nachdenken. Dadurch wurde die Energie frei, eine wirkliche Veränderung zu bewirken. Um eine tiefsitzende Gewohnheit zu verändern, brauchen wir diese Energie unserer Gefühle. Bei mir war es der Frust. Ich kenne viele Menschen, die diesen emotionalen Energieschub benötigten, um mit dem Trinken aufzuhören. Jetzt ist das Fass übergelaufen und damit ist plötzlich die Energie da, um endlich die Schritte zu machen, die schon lange anstehen.
Warum sind das Innehalten und Merken so wichtig? Gewohnheiten laufen automatisch und unbewusst ab. Sie sitzen in einer tieferen Region unseres Gehirns als unser Bewusstsein. Wir tragen aber einen Entscheider in uns, nämlich den „präfrontalen Cortex“. Den nutzen wir bei allen Entscheidungen, die nicht gewohnheitsmäßig ablaufen. Zum Beispiel, wenn wir in einer fremden Stadt über eine verkehrsreiche Straße gehen oder etwas aus einer Speisekarte auswählen.
Theoretisch kannst du jederzeit Gewohnheiten bewusst wahrnehmen und entscheiden, ob du ihnen folgen willst oder nicht. Bemerken und sich innerlich distanzieren. Aha, das tue ich gerade – will ich das wirklich? Dieses Bemerken ist zu jedem Zeitpunkt möglich. Jede Veränderung beginnt damit, dass wir überhaupt merken, was los ist. Eingeschliffene Gewohnheiten laufen mit minimaler Aufmerksamkeit ab. Durch Verlangsamung und Aufmerksamkeit auf das Erleben und die sinnlichen Eindrücke im Augenblick (Innehalten) können wir uns Gewohnheiten bewusst machen, sie unterbrechen und lenken. Das öffnet uns eine Welt voller neuer Möglichkeiten.
Beispiel: Ich habe eine Schale Erdbeeren gekauft. Nebenbei probiere ich eine und in mir ist der Impuls sehr stark, jetzt eine Erdbeere nach der anderen in Höchstgeschwindigkeit zu verschlingen. Das ist der Moment zum Innehalten, Merken und Aussteigen aus dem Impuls. Ich nehme den inneren Impuls wahr, aber ich folge ihm nicht. Ich setze mich an den Küchentisch und spüre den inneren Drang nach den Erdbeeren zu greifen. Ich schaue aus dem Fenster, spüre, wie ich auf dem Stuhl sitze. Spüre meinen Atem und mein inneres Getriebensein. Ich folge nicht dem Impuls. Langsam spüre ich, wie Drang und Druck weniger werden und sich entspannen.
Durch bewusstes Innehalten können wir jeden Impuls wahrnehmen, ohne dass wir ihm automatisch folgen müssen. Es lohnt sich, dieses Innehalten und Merken im Alltag zu stärken. Im Innehalten setzen wir einen kurzen Stopp, schalten auf Pause. Es öffnet sich ein Raum für bewusstes Wahrnehmen.
Erlaube dir einmal bewusst in diesem Moment, innezuhalten und zu bemerken, was geschieht.
Nimm einen tiefen Atemzug: Wo sind meine Gedanken? Welche Emotion ist da? Was sagt mein Körper?
Herzliche Grüße,
Michael Weiger