Selfcare ist kein Lifestyle-Hobby

Gut mit sich umgehen, sensibel sein für Überforderung

Selfcare ist ein Modeslogan der Wohlfühl-Industrie für Hedonist*innen geworden. Körperöle, Smoothies, Kosmetikprodukte und Massagen, Bilder vom Traumstrand und Wanderfotos  – dazu die üblichen Motivationssprüche werden oft damit in Verbindung gebracht. Die Kosmetik- und Wellnessindustrie hat den Trend schnell erkannt. Eine Duft-Kerze gut bei Stress, zuckerfreie Ernährung, Yoga, Astrologie sowie Abnehm- und Schönheits-Strategien laufen unter dem Begriff Selfcare.

 

 

Doch was bedeutet Selfcare ursprünglich? Bohrt man etwas tiefer, so stellt sich heraus, dass der Begriff wenig mit der Glitzerwelt von Wellness und Beauty zu tun hat. Der deutsche Begriff Selbstfürsorge sorgt für etwas mehr Klarheit. Er bedeutet, intakt zu bleiben in einem belastenden Umfeld durch Aktivitäten, die physisches und psychisches Wohlbefinden aufrechterhalten oder wiederherstellen sowie emotionalen und körperlichen Stress ausgleichen.

 

Wer Selfcare nur als Luxus-Wellness versteht, geht darüber hinweg, dass sie eigentlich jenen zugedacht ist, die sie zum Überleben brauchen. Beispielsweise der Krankenpfleger, der sich mehr als einmal gefragt hat, wie das Gehen soll auf der voll belegten Station jedes Tag aufs Neue 100% zu geben oder die Mutter im Home-Office die ihre 3 Kinder im Homeschooling-Modus bei Laune halten und nebenbei in ihrem Job glänzen will. Das junge Paar, das Anfang 2020 in eine winzige Stadtwohnung gezogen ist – die eigentlich ein Provisorium sein sollte – und dann im Lockdown zum gefühlten Beziehungsgefängnis wurde.

 

Selfcare kann auch Selbstbeschränkung bedeuten – bei der Arbeit, beim Shoppen oder beim Feierabendwein. Mit sich gut umgehen, zu sich selbst gut sein, sich zu schützen und nach sich selbst zu schauen und dabei die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen das bedeutet im eigentlichen Sinne Selfcare. Belastungen richtig einschätzen und sich nicht zu überfordern oder sensibel auf Überforderung zu bleiben, auch das gehört zur Selbstfürsorge. Konkret kann das bedeuten, zu lernen, sich sich selbst gegenüber mit jener Sorgfalt und Verantwortungsbereitschaft zu verhalten, die eine Mutter einem kleinen Kind gegenüber an den Tag legt.

 

 

Achten Sie auf das was sie essen und trinken, schlafen Sie ausreichend und bewegen sie sich möglichst viel. Pflegen Sie Freundschaften und andere soziale Kontakte.

 

 

Vielen Menschen fehlt die fundamentale Bereitschaft, sich um sich selbst kümmern zu wollen. Dabei spielen tief verankerte Überzeugungen eine Rolle. „Selbstversorgung ist etwas für Weicheier“ „Für sich selbst zu sorgen ist egozentrisch“. Manchen Menschen steht auch ihr geringer Selbstwert im Weg. Sie sagen dann: „Ich muss erstmal was leisten und meine Arbeit auf die Reihe kriegen, bevor ich mich um mich selbst kümmern kann.“

 

Die Frage ist eigentlich gar nicht so sehr, welche Tätigkeiten am besten zur Selbstfürsorge eignen, sondern wie man lernt, sich auch gegen Widerstände den nötigen Freiraum zu verschaffen. Für Selfcare braucht es keine Rechtfertigung. „Ich mach jetzt Pause, Punkt!“ und nicht: „Ich habe mich dermaßen für die Familie abgerackert, wenn ich jetzt nicht Pause mache, klappe ich zusammen.“

Selfcare ist nämlich nicht egoistisch, sondern vielmehr ein soziales Verhalten, das bedeutet, in Resonanz mit sich selbst und ebenso mit anderen Menschen zu sein.

Selfcare heißt, gut mich sich umgehen, sensibel sein für Überforderung und auf seine eigene, ganz persönliche Weise Energie zu tanken.